Präsenz des Schweizer Films in Locarno

13.06.2000

In den wichtigsten Sektionen des Internationalen Filmfestivals Locarno ist die Schweizer Produktion zwar immer vertreten, doch im Übrigen wird sie allzu oft auf «Nebenschauplätze» verbannt, wo ihr nicht immer die ihr gebührende Beachtung geschenkt wird. Ab diesem Jahr soll für mehr Ausgewogenheit gesorgt werden.

In seiner ersten Rede erklärte der neue Präsident des Festivals von Locarno, Giuseppe Buffi, er wünsche sich «ein echt schweizerisches Festival», das dem helvetischen Filmschaffen einen ihm angemessenen Platz einräumt. Als internationales Filmfestival hat sich Locarno - vor allem in den letzten Jahren - stets bemüht, dem Schweizer Film das Tor zur Welt zu öffnen. Neben den Schweizer Filmen im Wettbewerb, in den Sondervorführungen auf der Piazza Grande, in der Sektion «Cinéastes du présent» oder in der Kritikerwoche gab es immer ein Programmfenster, das sich speziell dem Schweizer Film widmete: Zuerst hiess es «Information suisse», dann «Films suisses» und schliesslich «Perspectives suisses».

Obwohl die Sektion «Perspectives suisses» regelmässig mit erfreulichen Überraschungen aufwartete - man erinnere sich an die letztjährigen «ID Swiss» und «Bonne conduite» oder an die beiden Filme zweier junger Genfer Regisseure «Attention aux chiens» und «Pas de café, pas de télé, pas de sexe» - wurde sie oft (zu Recht oder zu Unrecht) als der «salon des refusés» der offiziellen Auswahl des Festivals betrachtet. Produzenten und Verleiher zögerten denn auch, ihre Filme in dieser unklar abgegrenzten Sektion zu zeigen, in der das Pendel zwischen Fiktions- und Dokumentarfilm stark in Richtung Dokumentarfilm ausschlug.

Um mit neuen Lösungsansätzen einen Ausweg aus dieser unbefriedigenden Situation zu finden, wurde im Oktober 1999 auf Initiative von Marco Müller ein Dialog zwischen den Festivalverantwortlichen und den Vertretern des Schweizerischen Verbands der FilmproduzentInnen, der SRG idée suisse und dem Schweizerischen Filmzentrum eröffnet. Sehr bald schon einigte man sich auf den Grundsatz, dass die erfolgreichen Schweizer Filme des Jahres ihren Platz im Festival haben müssen. Denn es wäre schwer zu verstehen, wenn Filme, die beim Schweizer Publikum auf ein gutes Echo stossen und möglicherweise sogar für Berlin oder Cannes ausgewählt wurden, in Locarno fehlten. Einige dieser Werke werden in Zukunft von einem Ausschuss aus Vertretern der vier oben genannten Organisationen ausgewählt und täglich um 11.00 Uhr im Kursaal vorgeführt. Dieser Überblick über den Schweizer Film wird auch die «Swiss Screenings» ersetzen, die seit 1997 vom Schweizerischen Filmzentrum für die Einkäufer und die Vertreter ausländischer Festivals organisiert wurden und die das gewünschte Zielpublikum nie ganz zu erreichen vermochten.

Die «Perspectives suisses» werden zugunsten der verschiedenen Festivalsektionen - insbesondere zugunsten des internationalen Wettbewerbs, der Sektion «Cinéastes du présent» und der Kritikerwoche - abgeschafft. Ausserdem werden der Festivaldirektor und die Programmkommission die Möglichkeit haben, ausserhalb des Wettbewerbs eine offizielle Auswahl von Werken vorzustellen, deren künstlerischer Wert überzeugend ist: Sie werden den Wettbewerbsfilmen gleichgestellt, indem sie tagsüber im FEVI und gegebenenfalls abends auf der Piazza Grande gezeigt werden. Zur Erinnerung: Neben der Kritikerwoche (zwei Filme) und der «Perspectives suisses» (sechs Filme) wurden 1999 nur vier lange Schweizer Spielfilme für das Festival von Locarno selektioniert (ein Wettbewerbsfilm, zwei für «Cinéastes du présent» und ein Film ausser Wettbewerb auf der Piazza Grande). Durch die neue Programmstruktur wird diese doch eher bescheidene Beteiligung zweifellos intensiviert werden.

Erfüllen diese Änderungen die Forderungen nach einer stärkeren Schweizer Präsenz?

Die Erfahrung 2000 wird es zeigen. Doch schon jetzt ist zu erwarten, dass eine anspruchsvolle Auswahl der Festivalfilme das Image des Schweizer Films beim nationalen und internationalen Publikum verbessern wird. Auch die bunte Palette von Filmen, die das schweizerische Filmjahr geprägt haben, wird diesem Image noch zusätzliche Farbe verleihen.

Micha Schiwow

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