Beyond the Screen – Stéphane Mitchell

Die Drehbuchautorin über Storytelling und ihre neuen Serien THE GUARD und THE DEAL

18.03.2025

Stéphane Mitchell präsentierte THE GUARD am European Film Market in Berlin. Nun feiert THE DEAL mit der Regie von Jean-Stéphane Bron Festival am Festival Series Mania in Lille Weltpremiere.

Wie bist du dazu gekommen, Filme und Serien zu schreiben?

Als Kind war ich begeistert von Literatur, Theater und später auch vom Kino. Und dann hat sich das Schreiben für die Leinwand durchgesetzt. Während meines Studiums in New York anfangs der 90er Jahre hatte ich das Glück, Vincent Pluss, einem Regisseur aus Genf zu begegnen.

Als ich 2000 in die Schweiz zurückkehrte, lernte ich dank ihm den Nachwuchs aus der Westschweiz kennen. Wir gründeten die Gruppe Doegmeli, schrieben Manifeste zur Filmpolitik und drehten spontan und ohne Geld. Pluss’ Film ON DIRAIT LE SUD, den ich zusammen mit Laurent Toplitsch geschrieben habe, ist das Ergebnis dieses Energie-Wirbels.

Während ich ein Standbein im unabhängigen Filmschaffen hatte, hatte ich ein anderes im Fernsehen und schrieb zwei Episoden der beliebten Serie LES PIQUE-MEURONS. Schliesslich führte die Begegnung mit Pauline Gygax und Max Karli von Rita Productions zum Schreiben der Jugendserie HEIDI und später zum Fernsehfilm DECHAÎNEES usw. Ich verdanke all diesen Menschen, die an mich geglaubt haben, viel!

Wo und wie findest du deine Ideen?

Überall! In Zeitungen, in meinen Lektüren, in Gesprächen mit Freunden, beim Betrachten der Menschen auf der Strasse. Ich liebe es, mich zu informieren, in neue Welten und politische Realitäten einzutauchen – wie etwa die guten Dienste und die Schweizer Diplomatie für THE DEAL. Ich schreibe selten allein, da ich das Glück habe, zu Projekten eingeladen zu werden. Die leere Seite existiert für mich also nicht wirklich, denn die Ideen anderer inspirieren mich. Meine Vorstellungskraft wird also sofort angeregt.

Was waren die besonderen Herausforderungen beim Schreiben von «THE DEAL»?

Im Abspann von THE DEAL werden zahlreiche Drehbuchautoren genannt. Das Schreiben einer Miniserie erfolgt in mehreren Phasen über Jahre hinweg. Ich hatte das Privileg, von Anfang an mit Julien Descombes an Bord zu sein. Wir haben die erste Episode und den Entwurf der Staffel mit Jean-Stéphane Bron und Alice Winocour entwickelt.

Neben dem Studium der umfangreichen Dokumentation zum iranischen Atomabkommen war es eine der grössten Herausforderungen, das Thema in ein bewegendes und spannendes Erzählmaterial zu bringen und zu entscheiden, inwieweit man sich von der historischen Realität lösen sollte. Wie viel Gewicht soll man angesichts der ernsten und komplexen geopolitischen Herausforderungen und der geheimen Verhandlungen, den Zeugenaussagen, offiziellen Berichten und Presseerklärungen beimessen? Wer weiss schon, was sich wirklich hinter diesen verschlossenen Türen abspielt? Das macht aber auch den Reiz eines solchen Themas aus.

Wie schafft man es, Geschichten in Episoden zu denken?

Das Storytelling bleibt im Grunde dasselbe, egal ob man eine Serie schreibt oder eine köstliche Anekdote am Esstisch erzählt: Man muss das Publikum in Atem halten, mit Wendungen, Überraschungen, Emotionen, Spannung und immer, immer das Beste zum Schluss. Das Erzählen hat etwas Fraktales: Jede Geschichte, egal wie lang sie ist, ist in Anfang, Mitte und Ende unterteilt. Ebenso jede Episode. Ebenso jeder Akt, jede Sequenz, jede Szene, jede Zeile.

Wie wirken sich diese Erfolge auf deine Arbeit aus?

Es ist natürlich immer eine Ehre und eine Freude, wenn ein Projekt, an dem ich beteiligt bin, Anerkennung findet. Dies hat vielfältige Auswirkungen, sowohl auf die Finanzierung des Projekts als auch auf die Qualität der Projekte, die mir angeboten werden. So hatte beispielsweise der Bekanntheitsgrad von QUARTIER DES BANQUES eine Anfrage der Produktionsfirmen Catpics (THE GUARD) und Bande à part (THE DEAL) zur Folge.

Serien sind keine Soloshow. Wie ist die Arbeitsteilung beim Schreiben im Team?

Zunächst war ich mir sicher, dass ich HEIDI besser alleine schreiben würde. Inzwischen habe ich erkannt, wie reichhaltig und kraftvoll das Schreiben zu mehreren ist. Ich liebe diesen Prozess der kollaborativen Kreation. In der Schweiz habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich jede Serie organisch nach Stil und Erfahrung der einzelnen Personen organisiert. Einige Projekte werden zu zweit geschrieben, andere zu acht.

Immer häufiger gibt es eine Person, die das Schreiben leitet und sowohl für die Vision und das Erzählen als auch für die Organisation und die Beziehungen zur Produktion, zur Regie, zum technischen Team, usw. verantwortlich ist.

Die Fortschritte in der digitalen Technologie ermöglichen es uns, mit mehreren Händen gleichzeitig an ein und demselben Text zu schreiben, das ist ziemlich fantastisch.

Musstest du das Drehbuch während der Dreharbeiten schon einmal umschreiben?

Das kommt manchmal vor, wenn man für die Drehbuchleitung zuständig ist; einen Schauplatz verliert oder den Drehplan rationalisieren muss. Oder es wird eine Szene bei den Dreharbeiten ausgelassen und man muss die fehlenden dramatischen Informationen in eine noch nicht gedrehte Szene einschleusen.

Hat sich die Arbeit als Drehbuchautorin verändert?

Nicht wirklich. Das Schreiben dauert stundenlang, das Sitzen am Computer, das Anbringen von Post-its an der Wand, das Erfinden und Ausdenken mit meinen Co-Autoren. Ich lese Unterlagen, befrage Spezialisten, suche Synonyme, stecke fest mit einer Handlung, die nicht funktioniert, einer Heldin ohne Herausforderungen, einem schwachen Ende, ich schreibe um, schreibe um und schreibe noch einmal um. Um Edisons Sprichwort anzupassen: Das Schreiben von Serien besteht aus 1% Inspiration, 94,5% Schweiss und 0,5% Festivalpräsenz.

An welchem berühmten Film- oder Serien-Drehbuch hättest du gerne mitgeschrieben?

Im Writer's Room von Serien wie THE WIRE, THE GOOD WIFE, CALL MY AGENT, FLEABAG oder TSCHUGGER zu sein, wäre ein Traum. Warum? Um die Brillanz der Gespräche zu erleben, aber auch die sogenannten falschen guten Ideen, die unüberwindbaren Probleme und deren Lösung. Kurz gesagt, im Herzen des Reaktors sein – um zu schwärmen, zu schwelgen und vor allem zu lernen.

In welche Serienfigur hast du dich beim Schreiben verliebt und warum?

Ehrlich gesagt in alle. Sogar in die verrücktesten. Ist das narzisstisch, Doktor?

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