Beyond the Screen mit Joseph Areddy

Der preisgekrönte Kameramann über Reflexionen und Aufrichtigkeit

28.07.2025

Den Kameramann verbindet eine lange Freundschaft mit dem Regisseur Fabrice Aragno. In Locarno feiern die beiden die Weltpremiere von THE LAKE (LE LAC). Eine verblüffende filmische Hommage an den See und die Wunder des Lichts.

WIE HAST DU FABRICE KENNENGELERNT UND WAS ÜBERZEUGTE DICH, DIESEN JOB  ANZUNEHMEN?

Ich habe Fabrice Aragno vor mehr als 25 Jahren kennengelernt, als ich seinen Kurzfilm DIMANCHE drehte. Ein wunderschönes Werk, das Fabrices Feingefühl zum Ausdruck bringt. Der Film lief in Cannes, bei Camerimage und vielen anderen Festivals, aber ich war nach Madagaskar gezogen und hatte alles verpasst.

15 Jahre später schickte er mir das Drehbuch zu seinem ersten Spielfilm – LE LAC. Das Drehbuch ist selbst ein Kunstwerk, ein Gedicht; ein facettenreiches Geflecht aus Empfindungen und Emotionen, das mich tief bewegt hat, obwohl es keine Handlung, keinen Dialog, keine Linearität gibt. Wie schon bei DIMANCHE wollte ich diesen Film sofort drehen.

Und 10 JAHRE SPÄTER WIRD DER FILM IN LOCARNO GEZEIGT.

Genau! Wir haben so viele Ideen diskutiert, Sachen getestet, erste Probedrehs durchgeführt. Zusammen mit Maxime Raymond, meinem brillanten ersten Assistenten, haben wir ein Konzept für das Equipment entwickelt, weil wir wussten, dass wir auf einem winzigen Segelboot mitten auf dem See sein würden und mit völlig unterschiedlichen Wetter-, Feuchtigkeits-, Licht- und Temperaturbedingungen rechnen mussten.

WONACH HABEN FABRICE UND DU GESUCHT?

Fabrice hatte sehr konkrete Ideen und unerschöpfliche Mengen an Referenzen. Er ist selbst ein unglaublich begabter Kameramann mit einem weitreichenden Wissen über die technischen Möglichkeiten jenseits der traditionellen Erwartungen an die Bildgestaltung, und wir haben gemeinsam einen Plan entwickelt. Wir versuchten, den Film zu verschiedenen Zeitpunkten im Laufe der 10 Jahre zu drehen. Ich wusste, dass wir es irgendwann schaffen würden.

Als wir mit den Dreharbeiten begannen, hatte wir schon so viele Informationen ausgetauscht, dass wir genau wussten, was wir wollten. Obwohl jeder Tag ein Experiment im Filmemachen war, etwas, das wir als «Workshop des Entdeckens» bezeichneten. Es war unmöglich, einen Drehtag zu planen. Nichts war je ganz abgeschlossen. Wir wussten, dass es so sein würde, haben es angenommen und sogar darauf gehofft... diese Wunder des Lichts und des Zufallsspiel der äusseren Umständen.

WELCHE ROLLE HATTEN DIE SCHAUSPIELER:INNEN?

Clothilde Coureau und Bernard Stamm waren von Anfang an dabei; Fabrice hatte das Projekt mit Clothilde im Hinterkopf geschrieben. Es war speziell, eine sehr erfahrene Schauspielerin auf einem Segelboot zu haben, welches von ihrem Ko-Schauspieler gesteuert wurde, der gleichzeitig ein weltbekannter Segler ist. Wir konnten die Risiken und die Unvorhersehbarkeit des Lac Leman nur bewältigen, weil Bernard am Steuer war und die taktischen Entscheidungen traf. So konnten wir uns in Sicherheit auf die Dreharbeiten konzentrieren.

WAS WAR DIE GRÖSSTE HERAUSFORDERUNG BEIM DREH?

Ich musste mich oft an verschiedenen Punkten des Bootes festhalten, um stabil und sicher zu sein. Das war eine extrem körperliche Arbeit, aber so konnten wir die Kamera unter allen Bedingungen an verschiedenen Stellen des Schiffes anbringen. Wir haben kein künstliches Licht verwendet. Wir kontrollierten das Licht mit Negativaufhellung in der Kajüte und drehten manchmal in «Studio»-Umgebungen, in denen wir ankerten oder am Dock festmachten und die Bewegung der Wellen und des Lichts nachstellten.

Manchmal schwang Rob-Jan Lacombe, unser wunderbarer AD/Regie/Produzent/etc. an einem Seil, das am Mast und am Dock befestigt war, um die Bewegung nachzustellen. Es macht so viel Spass, dabei zuzusehen. Wir drehten mit Fabrice' grossartigen Leica R-Objektiven und meiner Lomo High Speeds und mehreren Spezialobjektiven in verschiedenen Formaten, einschliesslich 35 mm. Maxime Raymond und seine Assistentin Solane Mercier managten diese Ausrüstung in extrem schwierigen Situationen von der Kabine aus. Sie prallten dabei oft von den Wänden ab und wussten nicht mehr, in welche Richtung das Boot fuhr, wann es sich drehte oder wendete. Maxime war für die Schärfeneinstellung zuständig und reichte mir die Ausrüstung, alles funktionierte immer! Wenn wir in den Pausen auf die beiden hinunterschauten, lachten sie immer. Sie liebten diese Erfahrung. Maxime wünschte, wir könnten für immer LE LAC drehen. Chapeau!

2023 HAST DU DEN SCHWEIZER FILMPREIS FÜR DIE BESTE KAMERA GEWONNEN. WAS BEDEUTET DIR DIE TROPHÄE?

Ich fühle mich dadurch sehr geehrt! Eigentlich müsste ich den Preis Peter Demmer, meinem Gaffer bei BISONS, schicken.
Die Trophäe sollte eigentlich eine Weile bei ihm zu Hause bleiben und dann den Produktionsdesignerin Marion Schramm geschickt werden. Und Aurel Ganz und Reto Gelshorn von meinem Kamerateam und bei Serge Musy, den ersten AD, und Elisabeth Mehu und Martine Felber für Kostüme und Make-up, und Nicolas Zen-Ruffinen, unseren brillanten Produktionsleiter. Und natürlich an Pierre Monnard, falls er noch Platz für einen weiteren Preis hat, und Xavier Grin und Maxime Valvini und Karim Barras und India Hair... Es gibt so viele weitere Orte, wo er hingehört. Der Preis hat mich berührt.

Wie ich es in meiner Dankesrede gesagt habe: Ich habe nicht gewonnen, WIR haben gewonnen, wir alle. Alleine bin ich nichts.

WIE TRIFFST DU DIE ENTSCHEIDUNG, AN EINEM PROJEKT TEILZUNEHMEN?

Mir ist es wichtig, Mitarbeiter:innen zu haben, die meine Ansicht teilen, dass wir sehr privilegiert sind, in dieser Branche zu arbeiten, und dass nichts zu kostbar oder unerreichbar ist. Dieses Verständnis bringe ich jeden Tag mit zum Set, was eine Atmosphäre der Konzentration, des Respekts und der Wertschätzung schafft. Ich vertraue den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, und bin dankbar, solch talentierte, intelligente, lustige und engagierte Menschen gefunden zu haben.

HAST DU ICH SCHON ALS KIND FÜR KAMERAS INTERESSIERT?

Ich drehe seit meinem neunten Lebensjahr Filme. Mit meinem Grossvater, der Normal-8-Filme drehte, habe ich damit angefangen. Er hat mir beigebracht, wie man einen Belichtungsmesser abliest und vieles mehr. Seine Filme waren sehr lustig und er hat die Familie in den Wahnsinn getrieben, da er immer alle als Schauspieler einspannen wollte. Das war sehr lästig und fordernd. Gut gemacht, Opa!

An der Filmschule wollte ich nur die Filme anderer Leute drehen. Ich war sehr fasziniert von der Arbeit von Sven Nykvist, den ich während seiner Zeit in New York kennenlernen und ein Praktikum bei ihm machen durfte. Er erklärte mir, wie wichtig es ist, die Projekte gut auszuwählen, da sie deine Arbeit prägen werden. Er hatte absolut Recht. Aber er war und ist in einer anderen Liga und hatte den Luxus, diese Wahl zu treffen.

Ich hatte das Glück, mein Selbstvertrauen und meine Bildsprache mit namhaften Regisseur:innen wie Fabrice Aragno, Fred Baillif, Pierre Monnard, Hugues Hariche, Pablo Martin Torrado, Bruno Deville und derzeit Léa Fazer zu entwickeln – um nur einige zu nennen. Sie alle haben ihre ganz eigene Ausdrucksweise, aber sie alle verbindet der Wunsch, Filme in vertrauensvoller Zusammenarbeit zu realisieren.

 

 

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