VOD-STRATEGIE

Gibt es die ideale Strategie?

10.12.2025

Wie schaffen es Schweizer Filme, sich auf internationalen Plattformen zu etablieren und welche Erfahrungen haben World Sales mit ihren VOD-Strategien gesammelt? SWISS FILMS hat sich mit Cinthya Calderón von m-appeal, Francisco Zambrano von mk2 Films und Sebastian Klinger von ORISONO unterhalten, um mehr darüber zu erfahren.

In der SWISS FILMS VOD-Studie im Sommer 2025 fiel auf: Nur fünf bis sechs Schweizer Filme schaffen es auf europäische Plattformen innerhalb eines Jahres nach ihrem Release. Die meisten Filme benötigen zwei bis drei Jahre, bis sie online verfügbar sind. Um besser zu verstehen, wie es einigen Schweizer Filmen dennoch gelang, früher als VOD lanciert zu werden, haben wir die Entwicklung von LAISSEZ-MOI von Maxime Rappaz (2023), LE PROCÈS DU CHIEN von Laetitia Dosch (2024) und SEW TORN von Freddy Macdonald (2025) näher betrachtet. Ihre Ansätze sind unterschiedlich, gemeinsam ist aber allen, dass VOD nie ein isoliertes Ziel dargestellt hat, sondern Teil eines Gesamtkonzepts aus Kinorelease, Festivals, Auswertungsfenstern und territorialen Besonderheiten, deren Hauptakteure die internationalen Verkäufer sind.

Kino, Festivals, Plattformen: Die heikle Kunst, das Momentum zu nutzen und Auswertungskaskade einzuhalten

Dass die Filme frühzeitig auf den Plattformen zu sehen sind, liegt in erster Linie daran, dass deren Verleiher VOD nicht als Abschluss, sondern als Teil des Gesamtkonzepts betrachten. Francisco Zambrano fasst es so zusammen: «Eine VOD-Veröffentlichung macht nur Sinn, wenn sie einen bereits durch Festivals oder Kinos ausgelösten Impuls fortsetzt.»

Im Fall von LAISSEZ-MOI, dessen Bekanntheitsgrad nach der ACID-Selektion in Cannes 2023 deutlich anstieg, wurde die Gesamtstrategie anhand der Festivalvorführungen und territorialen Kinoauswertung entwickelt. Cynthia Calderón von m-appeal erklärt, dass in einigen europäischen Märkten selbst eine Teilnahme in einer Parallelsektion ausreichend Sichtbarkeit bieten kann, um einen erweiterten Kinostart zu rechtfertigen, während in anderen Märkten die Besucherzahlen nicht mithalten können. In dem Fall ist ein frühzeitiger VOD-Release unerlässlich, um die Medien-Aufmerksamkeit zu nutzen und ein bereits sensibilisiertes Publikum anzusprechen.

Die Erfolgsgeschichte von LE PROCÈS DU CHIEN, der ebenfalls in Cannes uraufgeführt wurde, nahm einen anderen Weg. Der Film hatte bereits bei seiner Präsentation beim «Rendez-vous» von Unifrance in Paris im Januar 2024 das Interesse der Verleiher geweckt. Mehrere Länder hatten den Film während des «Rendez-vous» und der Berlinale vorab gekauft, sodass die Weltpremiere in Cannes keinen grossen Einfluss auf die europäischen Verkäufe hatte.

Die Auswertungskaskade erfolgte dabei konventionell: In Frankreich schreibt die Gesetzgebung eine Mindestfrist von vier Monaten zwischen dem Kinostart und dem VOD-Release vor. Daher hat mk2 Films den Start in Frankreich, Belgien und der Schweiz abgestimmt, um Verzögerungen zu vermeiden, die Piraterie begünstigen könnten. Obschon die beiden letztgenannten Länder nicht der französischen Vorgaben unterliegen. Der Film wurde, sobald es die Vorschriften zu liessen, in allen französischsprachigen Territorien als VOD veröffentlicht. Dieser Ansatz belegt die strukturierende Rolle des Kinos.

Für Francisco Zambrano hätte eine ausschliesslich digitale Auswertung die für den Film unverzichtbare Mund-zu-Mund-Propaganda geschwächt. Auch in Japan ist vorgeschrieben, dass ein Film, bevor er auf SVOD-Plattformen verfügbar ist, im Fernsehen ausgestrahlt werden muss. Dies führt somit automatisch zu einer Verzögerung der digitalen Verbreitung. Dieses Feinjustieren zeigt deutlich, wie sehr VOD weiterhin von den unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern abhängt. 

SEW TORN folgt einer ganz anderen Logik. Der Film wurde zwar in der Schweiz gedreht, aber mit einer internationalen Besetzung auf Englisch, und war von Anfang an für eine weltweite Vermarktung konzipiert. Der schweizerisch-amerikanische Thriller von Freddy Macdonald feierte im März 2024 auf dem SXSW in Austin seine Weltpremiere und lief anschliessend an mehr als dreissig Festivals, unter anderem auf der Piazza Grande in Locarno. Dadurch entstand eine kontinuierliche Dynamik, die die territorialen Verkäufe erleichterte.

Die VOD-Strategie wurde parallel zu den Festivalpräsenzen und Kinostarts entwickelt, lange vor dem für September 2025 geplanten Kinostart in der Schweiz. Der Film erschien bereits im März 2025 in Grossbritannien als VOD, noch bevor er in den USA in die Kinos kam. Dadurch erhielt der Film eine digitale Präsenz konnte das Interesse anderer Verleiher wecken. Darauf folgte der Release in den Vereinigten Staaten durch Vertigo Releasing in mehreren grossen Städten sowie auf den wichtigsten Plattformen wie Apple TV, Amazon Prime sowie Netflix. Dort gehört er zu den wenigen Schweizer Titeln neben WOLKENBRUCH von Michael Steiner und der Serie NEUMATT in Nordamerika.

Den Film an die Märkte anpassen: Erotik, verrückte Komödie und internationaler Thriller

Die drei Filme wurden frühzeitig als VOD veröffentlicht, da jeder einzelne genau auf die jeweiligen Territorien zugeschnitten wurde. Das verdeutlicht die wachsende Bedeutung von massgeschneiderten Strategien im Streaming-Ökosystem.

LAISSEZ-MOI behandelt das Ausleben sexueller Begierden einer älteren Frau, gespielt von Jeanne Balibar – ein Thema, was einen «Global Deal» erschwert hat. Hinzukommt, dass der Film nicht auf Englisch ist und keine internationale Besetzung hat. Gemäss Cinthya Calderón (m-appeal) wäre die Ausgangslage anders, wenn sich der Film mit der Sexualität jüngerer Menschen befasst hätte oder wenn er eine Coming-of-Age Story erzählt hätte, also Genres, die von den grossen Plattformen leichter verwertbar sind. Sie präzisiert: «Die grossen Plattformen stellen zunehmend fest, dass ihr Hauptpublikum der Generation Z angehört, welches entweder leichte, zugängliche Inhalte oder das komplette Gegenteil: düstere Genres wie Krimis oder Body Horror bevorzugt.»

Somit wurde der Film als erotischer Arthouse-Film positioniert, um für TVOD-Dienste attraktiv genug zu sein, wobei dieser Ansatz je nach Verleiher unterschiedlich umgesetzt wurde. In Japan wurde er eher klassisch gepitcht, in der Tradition einer eleganten französischen Romanze, die die Sinnlichkeit einer älteren Frau hervorhebt, mit dem Ziel, ein reifes Publikum anzusprechen, welches europäisches Kino liebt und die Hauptdarstellerin wahrscheinlich kennt.

In Deutschland hingegen wurde der erotische Aspekt in den Vordergrund gestellt. Die Promotion konzentrierte sich dabei auf die Merkmale eines «sexy» Films, welche besonders gut für TVOD geeignet ist. Ein Arthouse-Film mit erotischen Inhalten findet häufig ein grösseres Publikum. In Deutschland haben mehrere Arthouse-Verleiher parallele Labels für Genre- oder Erotikfilme entwickelt, wodurch der Film seinen Platz finden konnte.

Für LE PROCÈS DU CHIEN setzte mk2 Films vor allem auf das Thema des Films, eine skurrile, ausgefallene französischsprachige Komödie. Diese Art von Film funktioniert international in der Regel ausgesprochen gut. Der Film wurde in der Schweiz produziert und gedreht, wird aber von einer französischen Besetzung getragen. Wobei Francisco Zambrano berichtigt, dass dies ausserhalb der französischsprachigen Territorien nur wenig Gewicht hat, weil die Bekanntheit von Laetitia Dosch, Pascal Zadi oder François Damiens im Ausland begrenzt ist. 

In vielen Märkten wird die Produktion einfach als französischsprachige Komödie verstanden. Eine Unterscheidung, die bei Kaufentscheidungen keine entscheidende Rolle spielt. Was die Verleiher wirklich überzeugt habe, so fährt Francisco Zambrano fort, sei die Originalität des Stoffes gewesen: eine atypische, aber universelle Geschichte, getragen von einem einzigartigen Ton und unterstützt durch besonders wirkungsvolles Werbematerial, insbesondere Plakate und Trailer.

Die Tatsache, dass der Hauptdarsteller ein Hund ist, hatte ebenfalls einen erheblichen Einfluss. Durch den Gewinn der «Palme Dog» in Cannes, der Preis für den besten Hund, erhielt der Film ein besonders wirksames Kommunikationselement hinzu. Dadurch fokussierte die Werbung auf den Hund und machte ihn zum eigentlichen Protagonisten. Dies wird international deutlich sichtbar, insbesondere bei den verwendeten Bildmotiven für die Werbeplakate in Asien, wo das Tier auf den Plakaten systematisch im Vordergrund steht.

Diese Strategie erwies sich besonders erfolgreich in China und Japan: Der Fokus auf den Hund als Protagonisten trug wesentlich dazu bei, das Publikum anzulocken. Bemerkenswert ist der Erfolg in China, da es selten vorkommt, dass dort ein fremdsprachiger Film vertrieben wird. Francisco Zambrano ist dennoch überrascht, dass China abwartet, den Film als VOD zu lancieren, da China das digitale Fenster in der Regel an die dortigen Kinokassen anpasst.

Bei SEW TORN verlief die Anpassung an die verschiedenen Märkte anders. Einige Länder betonen den Thriller-Aspekt, andere eher die komödiantischen Elemente oder die Präsenz internationaler Gesichter. Die Verwendung des Englischen spielt hier eine entscheidende Rolle: Sie ermöglicht es, den Film je nach Markt unterschiedlich zu positionieren und gleichzeitig die visuellen Qualitäten der Schweizer Landschaften zu bewahren. Sebastian Klinger fasst es so zusammen:

«Das Zielpublikum von SEW TORN unterteilt sich in mehrere Gruppen, von jungen Zuschauern, die Unterhaltung suchen, bis hin zu einem älteren Publikum, das sich für die fantasievolleren Elemente der Erzählung und den Inspirationen von NO COUNTRY FOR OLD MEN bis LOLA RENNT interessiert. Dank der englischen Sprache und der Vielfalt der behandelten Themen ist der Film nicht auf ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Kultur beschränkt.»

Die Positionierung des Films wurde entsprechend angepasst: Er wurde als amerikanisches Werk mit internationaler Reichweite präsentiert. Ein Ansatz, der sich eindeutig ausgezahlt hat, da er schnell in den Rankings der Plattformen stieg und den Status «Certified Fresh» auf Rotten Tomatoes erhielt – eine sehr seltene Auszeichnung für eine Schweizer Produktion neben DIE GÖTTLICHE ORDNUNG von Petra Volpe. 

In Frankreich wurde SEW TORN direkt als VOD unter dem Titel DE FIL DE SANG vertrieben, mit einer synchronisierten Fassung und speziell für dieses Land erstelltem Werbematerial. Dies wurde durch das Fehlen eines Global Deals möglich: Der Film wurde über ein Netzwerk unabhängiger Verleiher verkauft, welches von The Playmaker Munich koordiniert wurde. So konnte jedes Land seine Strategie individuell anpassen. Sebastian Klinger erläutert: «Diese Strategie basiert auf einem genauen Verständnis dafür, was in jedem Gebiet am besten funktioniert und wie man das grösste Publikum erreicht, was zu wirkungsvollen Releases führt, die perfekt auf den jeweiligen Kontext des jeweiligen Landes zugeschnitten sind.»

Schlussfolgerungen

Die Fallstudie belegt, wie selten Schweizer Filme international aufgrund ihrer Herkunft wahrgenommen werden, sondern vielmehr aufgrund ihrer Sprache, ihres Genres oder ihrer Positionierung. Sie verdeutlichen auch die wichtige Rolle des Weltvertriebes, dessen Entscheidungen den VOD-Vertrieb weit über die Landesgrenzen hinaus strukturieren.

Trotz präziser und auf jedes Territorium zugeschnittene Strategien betonen jedoch alle drei Interviewten den bestehenden Transparenzmangel bei den Streamingzahlen. Dieser erschwert es, die tatsächlichen Mechanismen von digitalen Releases besser zu verstehen.

Diese Fallstudie ist nur ein Beispiel unter vielen und spiegelt nicht die Vielfalt aller Schweizer Auswertungswege wider. Gerne möchten wir das Gespräch mit Ihnen fortführen und von Ihren Erfahrungen hören. Schreiben Sie uns an info@swissfilms.ch

 

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