Jahresrückblick 2020: Eine Berg- und Talfahrt für das Schweizer Filmschaffen

18.12.2020

Das «Corona-Jahr» 2020 war für die nationale wie auch für die internationale Auswertung von Schweizer Filmen ein schwieriges Jahr: Festivals und Filmstarts wurden verschoben, online durchgeführt oder ganz abgesagt. Kinosäle mussten weltweit schliessen. Trotz der unberechenbaren Situation konnten zahlreiche Schweizer Filme an internationalen Festivals – oft in virtueller Edition – als Weltpremieren lanciert werden, wenn auch meist ohne Präsenz der Filmschaffenden vor Ort.

Zum Jahresbeginn standen Schweizer Regisseurinnen und Produzentinnen an den zwei grossen Festivals Sundance und der Berlinale noch persönlich im Rampenlicht: Am Sundance Film Festival feierte Susanne Regina Meures mit ihrem Dokumentarfilm SAUDI RUNAWAY (Christian Frei Filmproduktion) Weltpremiere. Bei den European Film Awards EFA war er als European Documentary nominiert und erhielt letzte Woche den Preis als European University Film.

Die Schweizer Produzentinnen Joëlle Bertossa und Flavia Zanon (EFP Producer on the Move 2020) von Close Up Films waren am Spielfilm YALDA, A NIGHT FOR FORGIVENESS beteiligt, welcher ebenfalls in Park City seine Uraufführung feierte und den World Cinema Grand Jury Prize erhielt. Beide Filme liefen anschliessend an der Berlinale.

Schweizer Frauenpower in Berlin

Mit drei Filmen im Wettbewerb und mehreren Produktionen in weiteren Sektionen hatten Schweizer Regisseurinnen und Produzentinnen an der Berlinale einen hochkarätigen Auftritt.

Im Berlinale-Wettbewerb feierte SCHWESTERLEIN des Regieduos Stéphanie Chuat und Véronique Reymond seine Weltpremiere. Die Produktion von Ruth Waldburgers Vega Film steht als offizieller Schweizer Beitrag im Rennen um die 93. Academy Awards in der Kategorie «International Feature Film». Hauptdarstellerin Nina Hoss war bei den European Film Awards als «European Actress» nominiert. Der von Amka Films koproduzierte italienisch-schweizerische FAVOLACCE lief ebenfalls im Wettbewerb, wo er den Silbernen Bären für das Beste Drehbuch erhielt. Das italienische Regie-und Autorenduo Fabio und Damiano D'Innocenzo war bei den EFA als European Screenwriter nominiert.

Regisseurin Andrea Staka präsentierte ihren Spielfilm MARE (Okofilm Productions) im Panorama. Die schweizerisch-kroatische Produktion wurde im August am Filmfestival von Sarajevo zweifach ausgezeichnet. Im Kurzfilmwettbewerb Berlinale Shorts lief der experimentelle Anidoc ALETSCH NEGATIVE von Laurence Bonvin und die Animationsfilmerin Lena von Döhren zeigte DER KLEINE VOGEL UND DIE BIENEN im Wettbewerb Generation Kplus. Die Schweizer Schauspielerin Ella Rumpf wurde ausserdem an der Berlinale als eine von zehn European Shooting Stars der European Film Promotion EFP ausgezeichnet.

Virtuelle Festivals und Märkte

Im Laufe des Frühlings verlagerten sich coronabedingt weltweit die Festivals und Filmmärkte in den digitalen Raum. Gemäss den Schätzungen von SWISS FILMS wurden 2020 rund 75 Prozent der Festivals online oder hybrid durchgeführt, 15 Prozent konnten mit Schutzmassnahmen, oft in reduzierter Form, physisch durchgeführt werden und zehn Prozent der Festivals wurden abgesagt.

Zu den ersten Festivals, die ganz auf eine Online-Edition setzten, gehörte Visions du Réel Nyon. Entsprechend verlagerten sich auch die SWISS FILMS Marktauftritte und Promotionsaktivitäten. So wurde die jährliche Pitching-Plattform «SWISS FILMS Previews» in Nyon und an den Kurzfilmtagen Winterthur mit internationalen Gästen online durchgeführt. Am Filmmarkt von Cannes und dem Animationsfilmmarkt in Annecy war SWISS FILMS mit einem virtuellen «Stand» vertreten. In Partnerschaft mit dem Locarno Film Festival und dem TorinoFilmLab organisierte SWISS FILM digitale Live Events. Für weitere Marktauftritte, wie dem Shanghai Film Market, am TIFF und am American Film Market konnte sich SWISS FILMS den virtuellen «Umbrella Stands» der European Film Promotion anschliessen.

Glanzlichter bei den Spielfilmen

Zusätzlich zu den Filmen, die an der Berlinale ihre Festivalkarriere starteten, waren Schweizer Spielfilme 2020 an weiteren renommierten internationalen Festivals präsent: Bettina Oberlis WANDA, MEIN WUNDER (Zodiac Pictures) lief im Wettbewerb des Tribeca Festivals und eröffnete im Herbst das Zurich Film Festival; SPAGAT, der Debutfilm von Christian Johannes Koch (CognitoFilms) feierte seine Weltpremiere in der Sektion New Directors in San Sebastian. Am Black Nights Film Festival in Tallinn liefen STÜRM: BIS WIR TOT SIND ODER FREI von Oliver Rihs (Contrast Film Zürich) und PLATZSPITZBABY von Pierre Monnard (C-FILMS).

Das Filmfestival von Locarno sagte sein reguläres Programm ab und gab stattdessen zehn Schweizer Filmprojekten, deren Produktion wegen Corona unterbrochen werden musste, mit der neu geschaffenen Sektion «The Films After Tomorrow» eine Plattform. Regisseurin Marí Alessandrini wurde von der Jury für ihr Filmprojekt ZAHORÍ (Produktion Le Laboratoire Central) mit dem Pardo 2020 ausgezeichnet.

Dokfilm stark wie immer

Ob online oder im Kinosaal: Der Schweizer Dokumentarfilm beeindruckte 2020 mit hochkarätigen Festivalpräsenzen. Hervorzuheben ist insbesondere das Line-up am Filmfestival von Venedig – eines der wenigen grossen Festivals, das vor Ort durchgeführt wurde – sowie am online stattfindenden International Documentary Film Festival Amsterdam im November. Unter den insgesamt elf Schweizer Dokumentarfilmen an der IDFA, war als Eröffnungsfilm die schweizerisch-paraguayische Koproduktion APENAS EL SOL von Arami Ullón (Cineworx Filmproduktion) zu sehen. RADIOGRAPH OF A FAMILY (koproduziert von Dschoint Ventschr Filmproduktion) erhielt den Hauptpreis.

Die italienisch-schweizerische Koproduktion GUERRA E PACE (Lomotion AG Filmproduktion) und DAS NEUE EVANGELIUM des Theaterregisseurs und Autors Milo Rau (Koproduktion Langfilm) hatten in Venedig ihre Weltpremiere und liefen ebenfalls im IDFA-Wettbewerb. Ebenso NEMESIS (Okofilms Productions) von Thomas Imbach, der am Visions du Réel in Nyon uraufgeführt wurde und an der IDFA den Preis für Beste Kamera gewann. IL MIO CORPO des ECAL-Absolventen Michele Pennetta (Produktion Close Up Films), wurde nach der Weltpremiere in Nyon für die ACID Cannes selektioniert und lief in der IDFA-Sektion Best of Fests. WAKE UP ON MARS von Dea Gjinovci (Alva Film Production) lief in Nyon und am Tribeca Festival in New York. Der Deutsche Kamerapreis für Dokumentarfilm ging dieses Jahr an Benny Jaberg für NOT ME – A JOURNEY WITH NOT VITAL von Pascal Hofmann (RECK Filmproduktion), der am ZFF uraufgeführt wurde.

Schweizer Kurzfilme als Festivalhits

Der Schweizer Kurzfilm glänzte 2020 weltweit mit einer eindrücklichen Präsenz an den meist online durchgeführten Festivals. STILL WORKING von Julietta Korbel (Thera Production, ECAL) lief unter anderem an den internationalen Kurzfilmfestivals von Clermont-Ferrand, Melbourne, Sao Paolo und Bristol und erhielt am Palm Springs ShortFest den Preis als Best Student International Short. RED ANTS BITE von Elene Naveriani (Alva Film Production) hatte seine internationale Premiere am IFF Rotterdam und wurde in Brest und Bristol ausgezeichnet. LE CHANT DE L'OISEAU von Sarah Imsand (HEAD – Genève) war Teil der Cinéfondation Sélection Cannes 2020. DAS SPIEL von Roman Hodel (Ensemble Film) konnte vor Ort in Venedig seine Premiere feiern und lief anschliessend unter anderem am TIFF und an der IDFA.

Äusserst erfolgreich rund um die Welt liefen unter vielen anderen die Animationsfilme WARUM SCHNECKEN KEINE BEINE HABEN von Aline Höchli (Cinéma Copain Ltd liab Co), AVERAGE HAPPINESS von Maya Gehrig (Langfilm - Bernard Lang AG), LITTLE MISS FATE von Joder von Rotz (YK Animation Studio) oder LE DERNIER JOUR D'AUTOMNE von Marjolaine Perreten (Nadasdy Film).

Namhafte internationale Preise erhielten CRU von David Oesch (Tribeca Student Visionary Award, Nachwuchspreis Schnitt beim Deutschen Kamerapreis); der Tanzfilm OUT OF ORDINARY von Luca Signoretti, Tobias Buchmann, Alicja Pahl (ZHdK) war Finalist bei den Student Academy Awards (category Alternative/Experimental). Der Schweizer Regisseur Pascal Schelbli erhielt mit seinem an der deutschen Filmakademie Baden-Württemberg produzierten Film THE BEAUTY den Student Academy Award in der Kategorie Animation (International Film Schools). Der an der HSLU produzierte NACHTS SIND ALLE KATZEN GRAU von Lasse Linder lief 2020 an über 30 internationalen Festivals. Neben zahlreichen Festivalpreisen gewann der kurz Dokumentarfilm soeben bei den European Film Awards als European Short Film 2020.

Kinomarkt von Corona besonders hart getroffen

Während Festivals mit hybriden Editionen relativ agil auf Lockdowns reagieren konnten, traf die Pandemie den Kinomarkt weltweit besonders hart. Erfolgreiche Kinostarts - wie beispielsweise die minoritäre Schweizer Koproduktion ALS HITLER DAS ROSA KANINCHEN STAHL mit rund 700'000 Eintritten in Deutschland - wurden im März von einem Tag auf den andern jäh unterbrochen. Mit länderspezifischen Schutzauflagen wie Obergrenzen für die Zuschauerzahl fuhren die Kinos ihren Betrieb wieder hoch. Ende September sind in Frankreich und Deutschland, den wichtigsten Exportmärkten für den Schweizer Film, die Box-Office-Jahresumsätze im Vergleich zum Vorjahr jedoch bereits um über 60 Prozent eingebrochen.

Vom Schock der ersten Welle konnte sich der europäische Kinomarkt 2020 nicht mehr erholen: Ende Oktober wurden in den meisten europäischen Ländern die Kinos erneut geschlossen und damit auch erfolgsversprechende Kinostarts von Schweizer Filmen wie SCHWESTERLEIN abgebrochen. Mit der Schliessung der Kinos versiegt auch die Einnahmenquelle der Rechteinhaber. Für Kinobetreiber, aber auch Verleiher und die Filmindustrie ist das Marktumfeld besonders schwierig, unübersichtlich und damit auch unberechenbar geworden.

Was die internationale Kinoauswertung von Schweizer Filmen betrifft, zeichnet sich in naher Zukunft keine Besserung ab. Das Bundesamt für Kultur und SWISS FILMS arbeiten deshalb an neuen Massnahmen, welche die internationale Verbreitung des Schweizer Films insbesondere mit digitaler Promotion und neuen Auswertungsplattformen stärken sollen.

Wechsel im Stiftungsrat von SWISS FILMS

Josefa Haas, die langjährige Präsidentin des SWISS FILMS-Stiftungsrates verlässt SWISS FILMS per Ende Jahr. Der Stiftungsrat und die Mitarbeitenden von SWISS FILMS danken ihr ganz herzlich für ihr grosses Engagement. Während der Amtszeit von Josefa Haas wurde der digitale Wandel der Organisation massgeblich vorangetrieben. Ab 1. Januar 2021 übernimmt die Medienmanagerin und Unternehmerin Catherine Mühlemann das Präsidium des SWISS FILMS Stiftungsrates.

Die Promotionsagentur SWISS FILMS ist vom Bundesamt für Kultur mit der Umsetzung von Massnahmen beauftragt, welche die Sichtbarkeit und die Marktchancen von Schweizer Filmen im Ausland stärken.

SWISS FILMS, 16. Dezember 2020